Mittwoch, 2. April 2008

Schillers Don Carlos - politisches Drama oder Familientragödie ?

Familientragödie vs. politisches Drama

Schillers Don Carlos wurde im Laufe der Zeit mannigfaltig interpretiert. Manche sahen darin ein Ideendrama, andere ein Freundschaftsdrama, eine politische Tragödie, ein Familiengemälde oder gar ein Wandlungsdrama. Koopmann ist der Meinung, dass bis heute keine dieser Deutungen zu dominieren vermag.[1]
Er weist jedoch darauf hin, dass Familiengemälde in der dramatischen Literatur des 18. Jahrhunderts besonders häufig und besonders erfolgreich waren, da das Modell der Familie als wichtigste soziale Institution sich aufzulösen drohte. Außerdem zeige bereits der Bauerbacher Entwurf in aller Deutlichkeit Züge eines Familiendramas.[2]
Ein Wandlungsdrama ist in sofern auszuschließen, als dass Schiller selbst dies negiert. In seinen Briefen über Don Carlos gesteht er zwar, er selbst habe sich während der langen Entstehungszeit des Don Carlos gewandelt, er habe jedoch, um die Einheit des Stückes zu erhalten, die zweite Hälfte der ersten so gut angepasst als er konnte.[3]
Während Patrick Häffner für die Interpretation als Familiendrama plädiert, indem er sagt, „Das politische Moment des Dramas kommt vornehmlich in den theoretischen Entwürfen Posas zum Ausdruck und kann sich nicht zu wichtigen historischen Ereignissen weiterentwickeln [...]“[4], drücken sich andere Interpreten diplomatischer aus.
Erwin Leibfried schreibt, bereits in der ersten Szene würden die zentralen Motive des Stückes benannt. Es ginge ganz offensichtlich nicht „ um den Thronfolger, die Königin, den König, sondern um diese Personen als Menschen, genauer: in ihrer Rolle als Sohn, Braut bzw. juristische, nicht leibliche Mutter, Vater.“[5]
Der politische Konflikt ist zwar gegeben, steht aber hinter dem familiären zurück. Was die Leser bewegt, sind die Figuren in ihrer privaten Funktion. Lessing schrieb einst, dass Könige auf der Bühne stets nur in ihrer Eigenschaft als Privatleute, nicht als politische Personen interessant seien. Leibfried geht davon aus, dass Schiller in seinem Don Carlos eben diese Feststellung Lessings realisiert habe.[6]
Matthias Luserke-Jaqui drückt sich wesentlich unverbindlicher aus. Zwar definiert er den Vater-Sohn-Konflikt als Hauptthema des Dramas, sagt jedoch auch, dadurch dass Posa von Philipp beauftragt wird, Carlos zu beschatten, sei der politische Konflikt endgültig mit dem Familienkonflikt verschränkt. „[...] In dieser Sphäre der Macht ist das Politische vom Privaten nicht mehr zu trennen.“[7]
Aus der Interpretation Rüdiger Zymners geht zumindest hervor, dass die Tragik des Dramas sich aus den privaten Konstellationen des Familiengemäldes und nicht aus der Politik ergebe.[8]
Nachdem so viele Interpreten dem familiären Konflikt in Schillers Don Carlos eine derartig große Bedeutung zugedacht haben, lohnt es sich, die Familienkonstellation und das vorhandene Konfliktpotential einmal näher zu betrachten.



[1] Koopmann, Helmut: Don Karlos. In: Walter Hinderer (Hg.): Schillers Dramen. Neue
Interpretationen. Stuttgart 1983.S.87
[2] Ebd. S. 99
[3] Schiller, Friedrich: Briefe über Don Carlos“. In: Sämtliche Werke. Band 4. Regine Otto. 1. Auflage.
Berlin 2005 S. 736
[4] Häffner, Patrick: Widerstandsrecht bei Schiller. Frankfurt am Main 2005. S. 103
[5] Leibfried, Erwin: Schiller. Notizen zum heutigen Verständnis seiner Dramen. In: Gießener Arbeiten zur
Neueren Deutschen Literatur und Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Dirk Grathoff und Erwin Leibfried.
Band 7. Frankfurt am Main 1985. S. 177
[6] Leibfried S. 178
[7] Luserke-Jaqui, Matthias: Friedrich Schiller. Tübingen 2005. S. 162
[8] Zymner, Rüdiger: Friedrich Schiller: Dramen. Berlin 2002. S. 77

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